Das Magnet-Konzept: wie alles begann
In den 1980er-Jahren herrschte in den USA ein akuter Mangel an Pflegefachkräften und die Unzufriedenheit innerhalb dieser Berufsgruppe war sehr groß. Mit dem Ziel, diese frustrierende Situation besser zu verstehen, führte die American Academy of Nursing (AAN) Befragungen in Krankenhäusern in ganz Nordamerika durch. Das wenig überraschende Ergebnis: Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen sowie dem organisatorischen Umfeld und die zu hohe Arbeitsbelastung waren die Gründe, warum viele der Teilnehmer einen Arbeitgeberwechsel oder sogar Berufsaustritt in Betracht zogen.
Im Zuge dieser Befragung zeigte sich aber auch, dass einige Krankenhäuser motivierte Mitarbeiter:innen hatten, die ihrem Arbeitgeber über viele Jahre erhalten blieben und darüber hinaus einen großen Patientenzulauf und bessere Versorgungsqualität vorweisen konnten. Dank einer Art „magnetischer Kraft“ konnten diese Kliniken Pflegepersonal nicht nur leicht gewinnen, sondern boten ein attraktives Arbeitsumfeld, in dem Krankenschwestern und Pfleger gerne langfristig arbeiteten. Diese Sogwirkung war namensgebend für den Begriff „Magnetkrankenhaus“.
Die AAN identifizierte 14 Kriterien, die Magnetkrankenhäuser von anderen unterscheiden. Auf Basis dieser sogenannten Magnetkräfte wurde ein Modell für die praktische Anwendung entwickelt. Im Jahr 1990 wurde die Zertifizierungsstelle American Nurses Credentialing Center (ANCC) gegründet, die seither 591 Krankenhäusern weltweit im Rahmen des „Magnet Recognition Program“ das renommierte Qualitätssiegel verliehen hat. In Europa gibt es bisher zwei zertifizierte Krankenhäuser: das Antwerp University Hospital (seit 2017) und das Nottingham University City Hospital (seit 2020).
Forschungsergebnisse aus knapp 40 Jahren belegen, dass die Implementierung des Magnet-Konzepts zu einer Verbesserung der Arbeitsumgebungen und -bedingungen führt, was in Folge die Personalzufriedenheit steigt und sich auch in Patientenergebnissen niederschlägt. Es schafft einen strukturellen und kulturellen Rahmen, von dem Beschäftigte wie Patienten gleichermaßen profitieren.
Das Magnet-Modell: Magnetkomponenten und Magnetkräfte
Das sogenannte „Magnet Manual“ ist eine Art Anleitung, die Krankenhäuser durch den Implementierungsprozess begleitet. Das mehrmals überarbeitete und an die aktuellen Entwicklungen angepasste Handbuch erklärt das Magnet Model und die damit verbundenen Zertifizierungsanforderungen: es besteht aus 5 Magnetkomponenten, die auf den 14 originalen Magnetkräften (im Folgenden mit einem # gekennzeichnet) basieren.
Magnetkomponente |
Magnetkraft |
Beschreibung |
Transformationale Führung
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#1 Pflegerische Führung
#3 Managementstil
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Führungskräfte sind sich ihrer Vorbildfunktion bewusst, gehen mit beispielhaftem Handeln voran, sind präsent und zugänglich. Sie hören zu, stellen in Frage, machen Einfluss geltend, fordern und fördern Selbstständigkeit und Eigeninitiative. Sie kommunizieren ihre Vision für die Zukunft so, dass jeder seinen Anteil daran kennt, und schaffen die dafür notwendigen organisationalen Voraussetzungen. |
Strukturelle Befähigung |
#2 Organisationsstruktur
#4 Personalpolitik/-programme
#10 Vernetzung mit Kommune
#12 Bild der Pflege
#14 Fachliche Weiterentwicklung |
Stabile Strukturen und Prozesse, die Unternehmenskultur einer Klinik, ihr Leitbild, ihre Personalprogramme etc. bieten den Rahmen für ein innovatives Umfeld. Magnetkrankenhäuser zeichnen sich durch flache Hierarchien und kurze Entscheidungsprozesse aus, interprofessionelle Kommunikation und Zusammenarbeit finden auf Augenhöhe statt. Mit gezielten Entwicklungsprogrammen wird die Professionalisierung der Pflege aktiv gefördert. |
Exemplarische professionelle Praxis
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#5 Pflegemodelle
#8 Interne & externe Ressourcen
#9 Autonomie
#11 Pflegende als Lehrende
#13 Interdisziplinäre Beziehung
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Die vorbildhafte Pflegepraxis von Magnetkrankenhäusern basiert auf einem umfänglichen Verständnis für die Rolle der Pflege an sich, den damit verbundenen Aufgaben sowie ihrer Ausführung mit Patient:innen und in interdisziplinären Teams. Evidenz-basierte Pflegemodelle und -standards bilden die Grundlage des täglichen Handelns. Pflegende verfügen über eigene Verantwortungsbereiche und bilden sich entsprechend weiter. |
Neues Wissen, Innovationen und Verbesserungen |
#7 Qualitätsverbesserung |
Magnetkrankenhäuser tragen eine ethische und professionelle Verantwortung für ihr Haus und ihren Berufsstand im Sinne von neuem Fachwissen, Innovation und Verbesserung. Das erfordert die Etablierung von Strukturen, die die Berufsausübung nach neuestenneusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Generierung von evidenzbasiertem Wissen ermöglichen. Pflegende spielen eine aktive Rolle im Qualitäts-, Fehler- und Beschwerdemanagement. |
Empirische Ergebnisse
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#6 Pflegequalität
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Neben starken Strukturen und Prozessen ist vor allem der Unterschied zentral, den das Redesign der Organisation erzielt. Gemessen werden hierfür Veränderungen klinischer Ergebnisse und solche die Belegschaft betreffend. Diese empirischen Daten müssen sowohl einer internen Qualitätsprüfung als auch dem Benchmarking mit anderen Kliniken standhalten und sind die Grundlage kontinuierlicher Verbesserung. |