Suchtkranke Menschen im Alten- und Pflegeheim

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 22.03.2021

Alkohol- und Medikamentensucht im Altenheim

So gehst du mit Suchtkranken um

Demente oder herzkranke Bewohner und Bewohnerinnen sind in Altenheimen an der Tagesordnung: Es sind Krankheiten, die bei alten Menschen besonders verbreitet sind. Das Personal ist dementsprechend darauf vorbereitet und im Umgang geschult. Anders sieht es mit einer anderen Krankheit aus, die in der Pflege regelmäßig unterschätzt wird und nur wenig erforscht ist: der Suchtkrankheit, allen voran der Alkoholabhängigkeit. Nur die wenigsten Einrichtungen sind auf solche Fälle eingerichtet, obwohl geschätzt wird, dass die Zahl der Menschen (und damit auch alten Menschen) mit Alkoholproblemen immer weiter steigt. Laut Bundesgesundheitsministerium trinken rund 27 % der Männer und 18 % der Frauen über 65 regelmäßig eine für Körper und Geist gesundheitsschädliche Menge an Alkohol. 

Warum Suchtkranke oft Schwierigkeiten im Altenheim haben

Wer sich mit Alkoholabhängigkeit im Alter beschäftigt, der merkt schnell, dass Suchtkranke in Alten- bzw. Pflegeheimen im Durchschnitt jünger sind als Bewohner ohne eine solche Abhängigkeit. Das liegt unter anderem daran, dass sie durch ihren Alkoholkonsum laut einer Studie im Schnitt 15 Jahre schneller altern und dadurch viel früher körperliche oder psychische Probleme aufkommen, aufgrund derer die Senioren nicht mehr allein zu Hause leben können oder sie langfristig ambulant gepflegt werden müssen. Dazu kommt, dass Drogenabhängige im Allgemeinen aufgrund einer besseren Versorgung heutzutage deutlich älter werden als früher – eigentlich eine sehr positive Entwicklung, wären Einrichtungen besser auf diese Art von Bewohner eingestellt.

Eine Suchterkrankung ist für Betroffene oft besonders schwer, weil sie neben ihren körperlichen und psychischen Symptomen zusätzlich mit viel Stigmatisierung und Ausgrenzung sowie dem Verlust ihres sozialen Umfelds oder ihrer Arbeit zu kämpfen haben. Gerade ältere Menschen haben oft niemanden, mit dem sie über ihre Abhängigkeit sprechen können oder wollen sich aufgrund von Schamgefühlen nicht helfen lassen – einige Alkoholabhängige versuchen auch, ihre Sucht zu verstecken. Viele ältere Menschen mit Suchterkrankung kommen aus einem schwierigen sozialen Milieu, einige leben sogar auf der Straße, bevor sie in eine Einrichtung aufgenommen werden. Das kann zu zusätzlichen Herausforderungen wie einer geringen Angepasstheit oder Aggressionen führen, welche durch die Sucht noch verstärkt werden.
 

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Die Schwierigkeiten für Pflegekräfte im Umgang mit Suchtkranken

Neben häufigen Verhaltensauffälligkeiten bei Patienten mit Suchterkrankungen, stehen Pflegekräfte beim Thema Abhängigkeit oft vor einem moralischen Dilemma. Einerseits sollen sie für die Gesundheit der Bewohner sorgen und ihre Fürsorgepflicht nicht vernachlässigen – auf der anderen Seite sollen sie nicht die Autonomie und Selbstbestimmung der Bewohner einschränken. Hier eine Balance zu finden, ist bei Suchtkranken besonders schwierig. Alkohol oder Medikamente Bewohnern einfach vorzuenthalten, ist nicht die richtige Lösung. Auf einen Entzug, der nicht unter Aufsicht eines Arztes stattfindet, sollte verzichtet werden, vor allem dann, wenn die betroffene Person gar nicht bereit dafür ist oder es schlichtweg nicht möchte. 

Das Ziel sollte hingegen eine kontrollierte Gabe und ein verantwortungsbewusster Umgang mit den Suchtmitteln sein. Gerade bei Alkohol kann das sehr gut funktionieren, denn hier macht ja bekanntlich die Dosis das Gift. Auch der vollkommene Verzicht ist natürlich möglich, wenn der Patient im Boot ist und das Trinken einstellen will. Möchte der Patient auf Entzug gehen, sollte dieser wenn möglich durch einen Facharzt oder eine  anderes geschultes Personal betreut werden. Oft kommt bei alten Menschen im Gegensatz zu jüngeren Betroffenen die Behandlung ihrer Abhängigkeit durch eine Therapie gar nicht erst zur Sprache – dabei haben auch diese natürlich einen Anspruch darauf.

Nicht nur beim Alkoholkonsum, sondern auch bei harten Drogen muss ein Facharzt unterstützen, denn hier hilft nur ein kontrollierter Entzug oder die Gabe von Ersatzdrogen. In aller Regel ist in solchen Fällen ein Altenheim nicht der richtige Ort für die Betroffenen. Stattdessen sollten sie in einer Spezialeinrichtung Unterstützung erhalten.

Eine Sucht ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar

Natürlich findet man nicht nur alkoholkranke Bewohner in Altenheimen. Auch andere Abhängigkeiten sind unter älteren Menschen im Heim verbreitet – und werden oft nicht einmal als solche erkannt. So zum Beispiel die Sucht nach Benzodiazepine, kurz auch BZD genannt, die als Schlaf- und Beruhigungsmittel verschrieben werden. Bei regelmäßigem Konsum kann nach diesen eine psychische und auch körperliche Abhängigkeit entstehen, welche beim Absetzen des Medikaments Entzugserscheinungen wie Schlaflosigkeit oder Angstzuständen hervorruft. Auch die Abhängigkeit von harten Drogen im Alter kommt natürlich vor, diese ist in der Regel jedoch leichter zu identifizieren als eine Sucht nach „Alltagsdrogen“ wie Alkohol oder eine Abhängigkeit von verschreibungspflichtigen Medikamenten.
 

Bei regelmäßigem Konsum kann nach diesen eine psychische und auch körperliche Abhängigkeit entstehen, welche beim Absetzen des Medikaments Entzugserscheinungen wie Schlaflosigkeit oder Angstzuständen hervorruft.

Diese Anzeichen weisen auf eine Sucht hin

Um einen Bewohner eines Pflegeheims zu unterstützen, der an einer Suchtkrankheit leidet, solltest du dir erst einmal sicher sein, dass es sich tatsächlich um eine Abhängigkeit handelt. Denn besonders bei Alkohol, aber auch bei Schmerz- oder Beruhigungsmedikation kann das gar nicht so einfach sein. Nur weil der Alkoholkonsums eines Bewohners hoch ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er abhängig ist. Auch eine Bewohnerin, die regelmäßig Schmerzmedikation bekommt, ist deswegen nicht automatisch süchtig danach. Es kann deshalb helfen, bestimmte Definitionen einer Suchtkrankheit zu erkennen und die potenziell Betroffenen unter Berücksichtigung dieser Anhaltspunkte besser zu beobachten. 
Zunächst einmal ist da natürlich das regelmäßige Verlangen nach einer bestimmten Substanz, wie z.B. Bier, Wein, Schnaps oder Medikamente - ein Kontrollverlust über den Konsum ist ebenfalls typisch. Wird die Substanz verweigert, kann sich ein aggressives Verhalten einstellen. Eine Abstinenz ist oft nicht möglich und in vielen Fällen verzichten Abhängige auf soziale Kontakte, um ihrer Sucht nachzugehen oder weil sie schlicht das Interesse daran verlieren. Das Gefährliche an einer Sucht sind die körperlichen und mentalen Folgen, die sich aufgrund des Konsums einstellen. Kann ein Bewohner oder eine Bewohnerin trotz erheblicher Gefahr für die Gesundheit den Konsum nicht einschränken, handelt es sich um ein Suchtverhalten und du solltest eingreifen. Hält sich der Konsum jedoch in Maßen und ist eine zeitweilige Abstinenz (zum Beispiel, um Wechselwirkungen bei der Medikamentengabe zu vermeiden) kein Problem, dann solltest du die Einnahme nicht behindern.

Empathisches Verhalten kann viel bewirken

Wichtig ist, dass du dich an diese Grenze hältst. Denn oft ist das Selbstverständnis eines Altenheimes ein anderes: Sollten diese eigentlich ihren Bewohnern ein selbstbestimmtes Leben im Alter ermöglichen, nehmen sie stattdessen oft die Rolle des Aufpassers und Moralapostels ein und schränken Bewohner in ihren persönlichen Freiheiten ein. Diesen aus Prinzip den Konsum von Alkohol oder anderen Genussmitteln zu verbieten oder einzuschränken, wenn dazu kein Anlass besteht, wäre ein großer Einschnitt in die Selbstbestimmung und kann deshalb sogar zum rechtlichen Problem werden. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn die Bewohnerin oder der Bewohner Medikamente einnimmt, bei denen Wechselwirkungen mit Alkohol oder einem anderen Mittel auftreten oder wenn bei dem Konsum eine Gefahr für andere besteht (zum Beispiel, weil die betroffene Person aggressives Verhalten entwickelt).

→ Tipp zum Umgang mit aggressiven Patienten

Anstatt ihr den Alkohol zu verweigern, solltest du das Gespräch mit deinem Kollegen und anschließend mit dem oder der Betroffenen suchen, wenn ihr Handlungsbedarf seht. Anstatt der Person Vorwürfe zu machen oder zu versuchen, sie zurechtzuweisen, solltet ihr in Kontakt treten und stattdessen ein konstruktives Gespräch auf Augenhöhe führen, in dem du deine Unterstützung anbietest und Lösungsvorschläge bereithältst. Stimmt die betroffene Person zu, kannst du sich auch an eine Suchthilfe oder andere Suchtexperten wenden und um Unterstützung bitten.
 

Modellprojekte sorgen für mehr Zuversicht

Aufgrund des fehlenden Bewusstseins, zu wenigen Weiterbildungsangeboten und einer Stigmatisierung, die auch vor einigen Pflegekräften nicht halt macht, wissen viele Pflegerinnen und Pfleger nicht mit suchtkranken Bewohnern umzugehen. Einige Modellprojekte in Deutschland zeigen nun aber, dass es auch anders gehen kann. Es handelt sich dabei um bestimmte Abteilungen oder gar ganze Einrichtungen, die sich auf alkoholabhängige oder drogenabhängige Bewohnerinnen und Bewohner spezialisieren. Hier können sich die Pflegekräfte besser auf die Bedürfnisse der Menschen einstellen und können sie in einem reduzierten Konsum oder gar in ihrem Entzug unterstützen. Teilweise leben dort auch jüngere Menschen mit Abhängigkeiten, die nicht mehr allein wohnen können. Besonders wichtig ist es hier, den Bewohnern sinnstiftende Aktivitäten und Aufgaben zu bieten und sie kompetent und ohne Vorbehalte und falsche Vorurteile zu betreuen.

Nicht nur die fachliche Kompetenz fehlt in vielen Altenheimen bei der Behandlung von Suchtkranken. Auch Vorurteile und Ängste sowohl von anderen Bewohnern als auch von den Pflegerinnen und Pflegern gegenüber Menschen, die mit Abhängigkeit leben, machen diesen das Leben in konventionellen Einrichtungen schwer. Wichtig ist deshalb eine respektvolle Behandlung ohne Vorbehalte sowie eine kompetente Betreuung in Zusammenarbeit mit einer Suchthilfe oder Therapieeinrichtung.
 

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.