Veröffentlicht am 04.10.2021.
Was bedeutet kultursensible Pflege und wie kann man sie im Alltag gestalten?
Schon heute haben mehr als ein Viertel der Deutschen einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Es ist nicht verwunderlich, dass somit auch immer mehr Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen auf eine altersbedingte Pflege angewiesen sind. Die Integration verschiedener Kulturen in den Pflegealltag kann herausfordernd sein – doch ein Konzept für kultursensible Pflege kann dabei helfen, den Alltag zu gestalten.
Die kultursensible Pflege wird auch als interkulturelle Pflege bezeichnet und steht in engem Zusammenhang mit interkultureller Kompetenz. Unter kultursensibler Pflege versteht man kurz gesagt, eine pflegebedürftige Person entsprechend ihrer Kultur, Religion, individuellen Werte und Bedürfnisse zu versorgen und zu betreuen. Eine solche Betreuung soll auch unter einschränkenden Bedingungen, wie beispielsweise in einem Pflegeheim mit Pflegepersonal mit anderem kulturellen Hintergrund, stattfinden können – das Bedürfnis nach kultursensibler Pflege wurde sogar im Sozialgesetzbuch verankert. Am häufigsten findet man die kultursensible Pflege in Form der kultursensiblen Altenpflege.
Etwa 10% der Pflegebedürftigen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Viele haben ihre Wurzeln beispielsweise in der Türkei, der ehemaligen Sowjetunion oder Jugoslawien, Griechenland, Polen oder Italien. Dennoch hinkt die Pflege in diesem Bereich momentan noch hinterher: nur eine relativ geringe Zahl der Beratungsstellen und Pflegeeinrichtungen haben Erfahrung mit der Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund.
Das “Problem” der Einrichtungen liegt häufig darin, dass die deutschen Pflegeleistungen nicht unbedingt den Vorstellungen der auf Pflege angewiesenen Migranten entsprechen – nicht überraschend, sind diese doch meist mit einer ganz anderen Kultur aufgewachsen. Dazu kommen Barrieren innerhalb der Institutionen: Informationsmaterial ist nur selten in mehreren Sprachen verfügbar und eine fehlende interkulturelle Kompetenz führt leider auch heute häufig noch zu Vorurteilen gegenüber der anderen Kultur.
Zur Überwindung dieser Hindernisse kommt die kultursensible Pflege ins Spiel. Ihr Ziel ist es, den Bedürfnissen von Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen genauso gerecht zu werden, wie denen von Menschen der eigenen Kultur. Zudem soll ihnen ein gleichberechtigter Zugang zur Pflege zu ermöglicht werden. Um kultursensibel pflegen zu können, ist es deshalb wichtig, interkulturelle Kompetenz aufzubauen und kulturelle Unterschiede zu kennen und wertzuschätzen. Das trifft sowohl auf Pflegefachkräfte als auch pflegebedürftige Personen zu. Kennen und achten beide Seiten die jeweilige andere Kultur und den anderen kulturellen Hintergrund, kann die Pflegebeziehung der Beteiligten und die interkulturelle Kompetenz der Einrichtung enorm verbessert werden.
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Beispiele für kulturelle Unterschiede und Rituale, die im Rahmen einer kultursensiblen Pflege im Pflegealltag berücksichtigt werden sollten, sind zahllos. An dieser Stelle möchten wir dir nur zwei mögliche Besonderheiten am Beispiel der islamischen Kultur vorstellen.
Ein Anwendungsfall ist die Körperhygiene. Muslime haben beispielsweise ganz andere Waschgewohnheiten als Deutsche: vor jedem Beten findet die kleine rituelle Waschung statt, für die es einen ganz speziellen Ablauf gibt. In der kultursensiblen Pflege solltest du als Pflegekraft dieses Ritual erlernen und mit dem Patienten regelmäßig durchzuführen.
Ein weiteres Beispiel ist die Ernährung. Gläubige Muslime verzichten in ihrer Nahrungsaufnahme auf einige Lebensmittel, wie beispielsweise Schweinefleisch oder Alkohol. Um eine Ernährung zu ermöglichen, die im Einklang mit den islamischen Ernährungsgeboten steht, sollten Bewohner:innen einer Einrichtung oder eines Pflegeheims auf tierische Zusatzstoffe aufmerksam gemacht werden. Wenn möglich, könnte sogar Halal-Kost serviert werden.
Um die kultursensible Pflege in einer Einrichtung zu integrieren, benötigt es ein Konzept. Als Ausgangspunkt müssen jedoch zunächst einmal die Grundlagen geschaffen werden. Dies kann in folgenden Schritten passieren:
Es gibt viele verschiedene Ansatzpunkte, kultursensible Pflege im Alltag umzusetzen. Dabei ist es jedoch besonders wichtig, dass du dir die vorliegende individuelle Situation des/der Pflegebedürftigen genau ansiehst – nicht immer sind vordefinierte Ansätze und Lösungen richtig für den Umgang und die Pflege mit der Patientin oder dem Patienten. Um eine kultursensible Pflege erfolgreich umzusetzen, benötigt es einen wechselseitigen Lern- und Anpassungsprozess zwischen Pflegenden, Pflegebedürftigen, Angehörigen und der jeweiligen Einrichtung.
Folgende Ansätze können dir bei der Gestaltung helfen:
Interkulturelle Pflegekonzepte erarbeiten: Insbesondere in Ballungsgebieten gibt es immer mehr ambulante Pflegedienste, die ihren Schwerpunkt auf eine interkulturelle Pflege legen und sich auf Pflegebedürftige mit verschiedenen kulturellen und/oder religiösen Hintergründen konzentrieren. Auch hier werden oft muttersprachliche Mitarbeiter:innen eingesetzt, die die kulturspezifischen Besonderheiten kennen und gezielt darauf eingehen können.
Heute spezialisieren sich bereits einige Pflegeeinrichtungen auf Konfessionen. So gibt es neben den in Deutschland gängigen evangelischen und katholischen Trägern auch jüdische oder muslimische Einrichtungen. Doch auch “normale” Pflegeeinrichtungen versuchen, ihre Arbeit immer mehr auf multikulturelle Pflege auszurichten.
Das ist natürlich keine Entwicklung, die von heute auf morgen passieren kann. Vielmehr handelt es sich dabei um einen dauerhaften Prozess. Kultursensible Pflege ist ein wichtiger Bestandteil für gegenseitiges Verständnis und tritt für Werte ein, die unabhängig von Herkunft gelten. Ziel ist es, den Menschen in seiner Individualität zu akzeptieren und sich damit auf die Würde des Menschen sowie gegenseitigen Respekt zu fokussieren.
In einer respektvollen und toleranten Gesellschaft sollte die kultursensible Pflege einen festen Platz im medizinischen Umfeld einnehmen: nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis. Kultursensible Pflege bedeutet nicht zuletzt, den Menschen in seiner Individualität zu akzeptieren – und spiegelt damit das wieder, was wir uns wohl alle für unser Leben und auch unseren Lebensabend wünschen: Würde, Respekt und Lebensfreude.