Medikamente fallen aus einem Behälter

Verfasst von Jillian Ainslie|Veröffentlicht am 30.12.2021

Polypharmazie – Ist weniger mehr?

Wie die Einnahme von mehreren Medikamenten nach hinten losgehen kann

Aus deinem Berufsalltag weißt du, dass viele Menschen, insbesondere wenn sie unter chronischen Erkrankungen leiden, täglich zahlreiche Medikamente einnehmen müssen. Doch oft steckt dahinter ein unterschätztes Gefahrenpotential. Wir erklären, was genau Polypharmazie ist, welche Auswirkungen sie haben kann und wie du dazu beitragen kannst, diese negativen Folgewirkungen zu vermeiden.

Polypharmazie – ein globales Gesundheitsproblem

Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit von Multimorbidität (d.h. eine Person leidet unter mehreren Krankheiten gleichzeitig) und Polypharmazie. Polypharmazie bedeutet die regelmäßige Einnahme von mehreren Medikamenten. Der durchschnittliche Senior nimmt 5,6 Medikamente täglich ein, während diese Zahl bei Alters- und Pflegeheimbewohnern auf 9,3 ansteigt. Doch die kombinierte Einnahme verschiedener Wirkstoffe ist nicht immer ungefährlich: Polypharmazie ist heute zu einem globalen Gesundheitsproblem geworden. 

Laut dem Bremer Gesundheitsforscher Gerd Glaeske ist Polypharmazie Ursache für jährlich 16.000 bis 25.000 Todesfälle in Deutschland. Daher ist es keine Überraschung, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Polypharmazie als eine Hauptursache für vermeidbare Patientenschädigungen eingestuft hat. 

Wann spricht man von Polypharmazie?

Von Polypharmazie, auch als Multimedikation oder Polymedikation bezeichnet, spricht man, wenn ein Patient parallel mehrere Arzneimittel dauerhaft einnimmt. Je nach Definition geht man vonder gleichzeitigen Einnahme von mindestens drei bis fünf Arzneimitteln aus. Hierzu zählen nicht nur verschreibungspflichtige Arzneimittel, sondern auch freiverkäufliche und nicht verschreibungspflichtige Medikamente wie beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel. 

Je mehr Medikamente Patienten einnehmen, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Medikamente sich gegenseitig beeinflussen und Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen auftreten. Dies kann zur Folge haben, dass die Therapie negativ beeinträchtigt wird. Als generelle Faustregel gilt: Ab fünf Arzneimitteln verdoppelt sich das Nebenwirkungsrisiko und schon bei 7-8 Medikamenten verdreifacht es sich.

Ein weiteres mögliches Problem, resultierend aus der Einnahme von mehreren Medikamenten, ist eine Arzneimittelinteraktion. Hierbei beeinflussen sich die Medikamente gegenseitig, so dass sich die erwünschte Arzneimittelwirkung verändert. Das kann zur Folge haben, dass die Wirkung der Medikamente und Arzneimittel verstärkt oder abgeschwächt wird. Ein Beispiel hierfür: Werden das Antibiotikum Ciprofloxacin und Calcium gemeinsam eingenommen, binden sie sich im Magendarmtrakt aneinander. Dies hat zur Folge, dass beide Medikamente nicht richtig aufgenommen werden können und daher nicht voll wirksam sind.
 

Mehr Schaden als Nutzen: Welche Probleme können durch eine Multimedikation auftreten?

Unerwünschte Folgewirkungen durch Polypharmazie sind vor allem im Alter ein großes Problem. Aufgrund altersphysiologischer Veränderungen, wie beispielsweise einer abnehmenden Leistungsfähigkeit der Niere und Leber, Veränderungen in der Zusammensetzung des Körpers bezüglich seines Fett- und Wasseranteils, sowie Multimorbidität, sind Senioren besonders von unerwünschten Wirkungen durch Polypharmazie betroffen.

Interaktionen von Medikamenten beeinträchtigten nicht nur die Lebensqualität der Patienten, sondern oft auch deren Lebenserwartung. Unerwünschte Folgewirkungen wie Verwirrtheit, Stürze, ungeplante Krankenhausaufnahmen, sowie ein erhöhtes Sterberisiko sind keine Seltenheit.

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Polypharmazie – Ist weniger mehr?

Polypharmazie ist ein wichtiges Thema in der Pflege, denn es scheint eine lineare Beziehung zwischen der Anzahl der eingenommenen Medikamente und der Häufigkeit von arzneimittelbezogenen Problemen zu bestehen. Für jedes zusätzliche Medikament steigt also das Risiko für die Einweisung in ein Krankenhaus oder in ein Pflegeheim.

Wie du dazu beitragen kannst, Polypharmazie zu vermeiden

Um negative Folgewirkungen von Polypharmazie bzw, Multimedikation zu verringern, stehen ein guter Medikationsplan mit sämtlichen Arzneimitteln, sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen Pflegeprofis, Ärzten, sowie Apothekern an erster Stelle. Vor allem bei der Beobachtung der Patienten spielst du als Teil der Pflege eine entscheidende Rolle. Folgendes kannst du in deiner täglichen Arbeit berücksichtigen:

1. Beobachten:

Als Pflegepersonal kennst du die Patienten häufig besser als die Ärzte. Du solltest deshalb den Gesundheitszustand des oder der Patientin genau beobachten, um unerwünschte Arzneimittelwirkungen feststellen zu können und wenn an einen Arzt oder eine Ärzting zu melden. Mögliche Folgewirkungen einer Polypharmazie können sein:

  • Der/die Patient:in fühlt sich trotz der vielen eingenommenen Medikamente nicht gut
  • Schlechter Appetit und ungewollter Gewichtsverlust
  • Bluthochdruckkrise
  • Kognitive Defizite, Stürze, hilfloses Liegen
  • Verwirrtheit
  • Stark eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR <40ml/min)
  • Subjektives Gefühl der Überanstrengung / Ermüdung bei alltäglichen Aktivitäten
  • Alltagsaktivitäten kann der/die Patient:in nicht mehr ohne fremde Hilfe bewerkstelligen (Waschen, Anziehen, Gehen, Treppensteigen, Essen, Toilette ..)
  • Sonstige neue Symptome

Solltest du eine Veränderung oder einen Verdacht auf Polypharmazie feststellen, muss eine situationsbedingte Überprüfung der Medikation durch den Arzt durchgeführt werden. Bei dieser Medikationsveränderung wird dir außerdem mitgeteilt, auf welche Symptome du in Zukunft besonders achten solltest.

2. Dokumentieren:

Viele unerwünschten Arzneimittelwirkungen lassen sich dabei nur schwer von den Symptomen bestehender oder neu auftretender Krankheiten unterscheiden. Dies hat manchmal eine weitere Verschreibung von Medikamenten zur Folge. Aus diesem Grund ist eine konsequente Erfassung von Veränderungen und neuen Beschwerden in der Pflegedokumentation sehr wichtig. Auch der Medikationsplan sollte immer im Blick behalten werden.

 

Polypharmazie birgt ein dramatisch unterschätztes Gefahrenpotential in sich. Vor allem bei älteren Patienten können unerwünschte Folgewirkungen durch eine Einnahme von mehreren Medikamenten hervorgerufen werden. Doch mit einer sorgfältigen Beobachtung und Dokumentation kannst du als Pflegekraft einer Polypharmazie und ihren negativen Auswirkungen unter Umständen entgegenwirken.