Eine Pflegerin hilft einer alten Frau beim Gehen

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 10.11.2022

FEM Pflege: Wann sind freiheitsentziehende Maßnahmen erlaubt?

Definition, Beispiele & Alternativen zu FEM in der Pflege

Wenn du in der Pflege arbeitest, dann kennst du sicherlich den Begriff „freiheitsentziehende Maßnahmen“ (FEM). Damit werden – wie der Name schon sagt – Maßnahmen beschrieben, die Patient:innen in ihrer Freiheit stark einschränken, zum Beispiel, indem sie eingesperrt oder fixiert werden. Was alles unter diesen Begriff fällt, unter welchen Bedingungen FEM in der Pflege erlaubt sind und welche Maßnahmen sich besser zum Schutz von Patient:innen eignen, erfährst du im Folgenden. 

FEM Definition Pflege: Was sind freiheitsentziehende Maßnahmen?

Um sich mit dem Thema FEM richtig auseinandersetzen zu können, muss der Begriff zunächst einmal klar umrissen werden. Der BIVA-Pflegeschutzbund definiert FEM folgendermaßen: „Freiheitsentziehende Maßnahmen sind alle Handlungen und Vorrichtungen, die einen Menschen an der Ausübung seines natürlichen oder auch potentiellen Fortbewegungswillens hindern und gegen seinen Willen durchgeführt werden.“

Klar ist also schon einmal: unter FEM in der Pflege fallen nur Maßnahmen, die gegen den Willen der Patient:innen geschehen. Bittet zum Beispiel eine Patientin (insofern sie dazu noch in der Lage ist) ausdrücklich selbst darum, dass das Bett nachts so gesichert wird, sodass sie nicht einfach aufstehen und herumlaufen kann, dann fällt diese Maßnahme nicht unter diesen Begriff.

Mögliche Maßnahmen, die unter die Definition von FEM in der Pflege fallen, sind zum Beispiel:

  • Bettgitter, die Patient:innen daran hindern, das Bett zu verlassen
  • Die Nutzung von Fixiergurten
  • Zwangsjacken
  • Das Abschließen von Zimmern (auch durch Trickschlösser) 
  • Die Unterbringung in einer geschlossenen Station
  • Die Entwendung von Gehhilfen wie Rollatoren, Gehstöcken oder Rollstühlen
  • Die gezielte Sedierung von Patient:innen (tritt die sedierende Wirkung nur als Nebenwirkung von verschrieben Medikamenten auf, gilt dies nicht als FEM)

Zudem gibt es weniger „einschneidende“ Maßnahmen wie das Anlegen eines Fixiergurtes, um zu vermeiden, dass eine Person aus dem Rollstuhl fällt. Dabei handelt es sich lediglich um eine freiheitsbeschränkende Maßnahme. Diese sind für einen kurzen Zeitraum erlaubt, dürfen aber nicht dauerhaft angewandt werden. 

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Warum sind FEM in der Pflege so umstritten?

FEM helfen dabei, Patient:innen zu schützen – oder? Auf den ersten Blick mag es richtig erscheinen, Bewohner:innen beispielsweise nachts einzuschließen, wenn diese in der Nacht durch die Einrichtung wandern und sich dabei verletzen könnten. Schaut man aber genauer hin, dann merkt man schnell, dass FEM in der Pflege in aller Regel keine sinnvolle Lösung sind. Bleiben wir einmal bei unserem Beispiel. Wie reagiert wohl die eingeschlossene Person, wenn sie merkt, dass sie den Raum nicht verlassen kann? Richtig: vermutlich mit Panik, Aggressivität oder Frustration. Maßnahmen wie das Fixieren können zudem zu Verletzungen führen und langfristig die Koordinationsfähigkeit und die Muskelkraft schwächen. Dies erhöht die Sturzgefahr sogar noch zusätzlich.

Einmal davon abgesehen, dass FEM in der Pflege den körperlichen und psychischen Zustand der Patient:innen verschlechtern, indem sie unnötigen Stress verursachen, besteht natürlich auch ein moralisches Dilemma. Denn jeder Mensch hat per Gesetz das Recht, sich frei zu bewegen – und zwar auch dann, wenn er sich dabei selbst Schaden zufügen kann. Patient:innen einzusperren oder zu fixieren ist also nicht nur moralisch fragwürdig, sondern sogar gesetzlich verboten.

In diesen Fällen sind FEM in der Pflege erlaubt

Obwohl sie prinzipiell nicht erlaubt sind, können FEM in der Altenpflege unter besonderen Bedingungen zulässig sein – ansonsten hätte sich das Thema hier bereits erledigt. Durchgeführt werden können entsprechende Maßnahmen nämlich dann, wenn ein richterlicher Beschluss vorliegt. Dieser kann nur im Einzelfall und zum Wohl der Patient:innen eingeholt werden. Werden FEM durchgeführt, dann müssen sie immer sorgfältig dokumentiert werden.

Bei Notwehr (etwa bei aggressiven Patient:innen) dürfen freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege auch ohne richterlichen Beschluss durchgeführt werden. Sind Patient:innen unmittelbar in Gefahr, sind FEM ebenfalls zulässig. Aber nur so lange, wie die Gefahr auch wirklich akut besteht. In dem Moment, in dem die Gefahr vorüber ist, muss die Person sofort wieder „freigelassen“ werden. In der Praxis ist es oftmals schwierig, solche Situationen richtig einzuschätzen. Es kommt dabei stark auf den Einzelfall an. Wichtig ist jedoch zu beachten: Es darf sich nicht nur um eine potenzielle Gefahr handeln (Beispiel: der Patient könnte sich eventuell verletzen, wenn er nachts allein herumläuft), sondern die Gefahr muss unmittelbar bestehen (Beispiel: ein dementer Patient versucht, aus dem Fenster zu springen, und lässt sich mit anderen Mitteln nicht davon abhalten).

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind zudem in der häuslichen Pflege zugelassen. So können etwa pflegende Angehörige ohne richterliche Genehmigung ein Bettgitter anbringen. Auch hier gilt aber: Die freiheitsentziehenden Maßnahmen sind nur dann zulässig, wenn sie dem Wohl der Pflegebedürftigen dienen!

Dürfen Bevollmächtigte oder Betreuer:innen eine FEM anordnen?

Auch Bevollmächtigte und Betreuer:innen dürfen ohne gerichtlichen Beschluss keine FEM genehmigen. Sie sind allerdings die einzigen, die solche Maßnahmen vor Gericht beantragen können. Pflegekräfte oder Ärzt:innen haben dazu keine Befugnis. Gibt es keine Betreuer:innen oder Bevollmächtigte, dann ist eine FEM nur möglich, wenn die Patient:innen selbst zustimmen oder wenn ein Notfall vorliegt.

Alternativen zu FEM in der Pflege: Eine sichere Umgebung gestalten

Pflegende stehen oft vor einem Dilemma: Einerseits möchten sie Patient:innen vor Verletzungen oder gar Schlimmerem schützen. Andererseits möchten oder dürfen sie keine freiheitsentziehenden Maßnahmen anwenden. 

Aus diesem Grund sollten immer erst alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, bevor FEM in der Pflege in Erwägung gezogen werden. Zu klassischen freiheitsentziehenden Maßnahmen gibt es viele Alternativen, welche die Sicherheit der Patient:innen erhöhen, ohne dass sie deren Bewegungsfreiheit einschränken. Einige davon möchten wir dir hier vorstellen. 


Vorkehrungen für die Nacht

  • Niederflurbetten, die weit auf den Boden abgesenkt werden können. Dadurch können nächtliche Stürze verhindert werden.
  • Sensormatten vor dem Bett bzw. Bettkantenalarm: Diese schlagen Alarm, wenn die Person das Bett verlässt oder sich aufsetzt, sodass Pflegende schnell reagieren können.
  • Installation von Nachtlampen

Hilfsmittel

  • Sturzhelme oder Hüftprotektoren, um Verletzungen zu vermeiden
  • Gehhilfen, um Sturzgefahr zu vermindern
  • Sicherung der häuslichen Umgebung
  • Stolperfallen wie Kabel oder herumliegende Gegenstände beseitigen
  • Stabilen Haltemöglichkeiten anbringen
  • Treppenlifte installieren
  • Rutschfeste Teppiche auslegen
  • Gefährliche Geräte (Messer, Scheren etc.) und Medikamente sicher verwahren
  • Ofen, Herd und andere potenziell gefährliche elektrische Geräte sichern

Physische & psychische Maßnahmen

  • Körperliche und mentale Betätigung, damit Patient:innen ausgelastet werden. So können sie nachts besser schlafen und sind weniger rastlos.
  • Hinzuziehen von ärztlichem Rat bei aggressivem oder selbstverletzendem Verhalten
  • Übungen für den Gleichgewichtssinn und zur Mobilisierung
  • Eine gute medikamentöse Einstellung
  • Entspannende Musik


Freiheitsentziehende Maßnahmen sind ein starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Patient:innen und sollten deshalb nur zur Anwendung kommen, wenn es wirklich keine anderen Alternativen mehr gibt. So sieht es auch das Gesetz vor. Werden FEM in der Pflege ohne die entsprechende Genehmigung durchgeführt, dann können empfindliche Strafen zur Anwendung kommen. Möglich sind je nach Schwere der Tat sowohl Geldstrafen als auch Freiheitsstrafen von bis zu 5 Jahren. Ausnahmen gibt es jedoch in der häuslichen Pflege: Hier sind FEM durch Betreuer:innen oder Bevollmächtigte erlaubt, solange diese dem Wohl der Patient:innen dienen.

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.