"Halbtagsheldin" Jenny

Veröffentlicht am 10.01.2022

"Ich habe den Entschluss, in der Pflege zu arbeiten, nie bereut."

Pflege Influencerin "Halbtagsheldin" Jenny im Interview mit MediRocket

Instagram gehört schon lange nicht mehr nur Influencer:inen, die für Fashion und Beauty Produkte werben – es gibt auch authentische Influencer, die mit ihrem Kanal etwas bewirken wollen. Eine davon ist Jenny Kuhnert, Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin in Berlin. Als “Halbtagsheldin” gibt sie auf ihrem Instagram Channel Einblicke in ihren täglichen Berufsalltag, teilt Erfahrungen und Geschichten aus dem Krankenhaus und spricht mit Experten über aktuelle und auch gesellschaftskritische Themen. Zu Gast im Interview bei MediRocket verrät sie uns, wie sie zu ihrem Beruf kam, wie sie sich aktivistisch für die Pflege engagiert und wie sie der Zukunft der Pflege entgegen sieht. 

"Halbtagsheldin" Jenny im Interview mit MediRocket

 

Deinen Instagram Account hast du schon lange, doch seit dem Frühjahr 2020 legst du den Fokus mehr und mehr auf die Pflege. War Corona ein Auslöser dafür?

Mein Instagram-Blog ist ja ursprünglich mal als Foodblog gestartet. Aber so richtig glücklich war ich damit nicht, auch wenn's Spaß gemacht hat. Der Groschen, auch über die Pflege zu schreiben, ist bei mir gefallen, als ich meinen jahrelangen Job gekündigt habe. Das war noch bevor wir von Corona zum ersten Mal gehört haben. Auslöser war die Art und Weise, wie mit mir umgegangen wurde und wie es zu meiner Kündigung kam. Und begonnen aktiv über die Pflege zu schreiben habe ich, als ich den Neustart in die Zeitarbeit wagte.

 

Du hast mittlerweile knapp 9.000 Follower. Was möchtest du mit deinem Instagram Account bewirken?


Ich möchte auf meine Weise etwas bewirken und abbilden. Aufklären über die Pflege und darüber, was uns bewegt. Für mehr berufspolitisches Engagement sorgen. Aber ich möchte auch nicht nur über die Pflege schreiben. Auch die Gesundheitsprävention liegt mir am Herzen. Dazu hat es schon und wird es auch zukünftig immer wieder Lives mit verschiedenen Fachspezialisten geben. Ich möchte aber auch über gesellschaftskritische Themen schreiben und über Familie und die Rolle der Frau. Kunterbunt sozusagen. :) 

"Halbtagsheldin" Jenny
"Halbtagsheldin" Jenny

Warum hast du dich dafür entschieden, in der Pflege zu arbeiten und würdest du die Entscheidung wieder so treffen?

Das ist eine längere Geschichte. Mein Papa war eine zeitlang sehr krank. Da war ich ungefähr 12/13. Er war lange im Krankenhaus und mehrfach auf der Intensivstation. Ich war ihn dort fast täglich nach der Schule besuchen und empfand das Flair in diesem besonderen Bereich total faszinierend. Das Personal war sehr warmherzig, sehr offen für Fragen und ich durfte dort sogar bei der Anlage eines zentralen Venenkatheters bei einer Patientin zusehen. Das war der Moment, der den Grundstein für meine Faszination für den Pflegeberuf legte. 
Vor allem aber auch das Wissen, dass diese Menschen andere Menschen in den vulnerabelsten Situationen ihres Lebens unterstützen, fördern und begleiten. Die Wahnsinns Fachkompetenz. Das technische Know-How. Die enge Zusammenarbeit mit den anderen Fachdisziplinen. All das ließ in mir den Entschluss reifen, dass die Pflege für mich der richtige Beruf ist. Und ich habe diesen Entschluss bisher noch nie bereut.

 

Du erwähnst auf Instagram, dass “die Pflege selbst aus der Passivität aussteigen und aktiv etwas dafür tun muss, dass der Beruf in seiner Wichtigkeit erkannt wird.” Warum denkst du bleibt die Pflege – trotz hoher Unzufriedenheit der Pflegekräfte – noch immer in ihrer passiven Rolle?

Ich glaube das Rollenverständnis in der Pflege ist zum Teil noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Dieses zum Teil devote, wenig aus Eigenantrieb agierende und auf die Delegation des Arztes wartende Wesen der Pflegenden ist noch weit verbreitet. Dazu kommt dann, dass wir seit über 10 Jahren schon in einer Personalmangelsituation arbeiten. Stets und ständig über unsere Kräfte hinaus, jedes Jahr mehr. Das macht natürlich irgendwann passiv: Die Reserven sind irgendwann erschöpft und niemand ist mehr bereit etwas über die eigentliche Arbeit hinaus zu machen. Und dann schleicht sich diese Denke ein, dass immer die Anderen Schuld sind. Die Politik, die Gesellschaft. Nur nicht wir selbst. 

Dabei wäre die Pflege, wenn wir wie beispielsweise die Piloten, zum Großteil alle einer Gewerkschaft Mitglied wären, ein Verhandlungspartner mit ungeheurem Einfluss in Verhandlungen mit den Arbeitgebern. Wir könnten so viel für uns selbst rausholen, verbessern. Aber in der Pflege wird immer Vorleistung verlangt. Die Gewerkschaft muss immer erst für mich was tun, damit sich mein IST-Zustand verbessert, BEVOR ich für sie was tue und Mitglied werde. Und da liegt der Fehler. So funktioniert gewerkschaftliche Vertretung nicht. Dieses Verständnis muss erst noch in den Köpfen ankommen.

Natürlich ist auch die Politik im Zugzwang, keine Frage. Herr Holetschek sagte auf dem Deutschen Pflegetag eindrücklich, dass wir "sehenden Auges in eine humanitäre Katastrophe" steuern, wenn sich nicht schnell was an der Pflegesituation ändert. Und genauso ist es auch. Aber, um dies abzuwenden, bedarf es Eigenengagement der Pflegenden, sowie Handlungsbereitschaft der Politik. Beides ist bisher eher müßig zu beobachten.

Wir könnten so viel für uns selbst rausholen, verbessern. Aber in der Pflege wird immer Vorleistung verlangt.

Was kann jede/r Einzelne dazu beitragen, die Situation der Pflege zu verbessern? 


Ich würde mir wünschen, dass Berufspolitik von Anfang an in der Berufsschule schon intensiv besprochen wird. Und auch auf den Stationen, in den Pflegeheimen usw regelmäßig geschult wird. Denn vielen Pflegenden fehlt auch einfach das Hintergrundwissen: Sie wissen schlicht und einfach nicht, dass sie an ihrer Situation selbst etwas verändern können und nicht zwangsläufig darauf warten müssen, dass von Außen Hilfe herbeieilt. Die Pflegenden selbst müssen Teil der Veränderung sein. 

Es würde schon extrem viel verändern, wenn jede Pflegekraft in eine Gewerkschaft eintritt. Bochumer Bund oder Verdi. Und schon hätten wir eine berufspolitische Ausgangslage, bei der sich die Arbeitgeber warm anziehen müssten.


Du selbst versuchst dich aktivistisch für die Pflege einzusetzen. Für welche Themen engagierst du dich und wie sieht das konkret aus?


Ich engagiere mich für ein professionelles Image der Pflege. Weg vom Mutter Theresa Denken, hin zu einem hoch professionalisierten Berufsverständnis. Die Pflege ist kein Ehrenamt und auch keine Berufung. Denn das suggeriert immer, dass wir unseren Beruf aus reiner Nächstenliebe ausführen. Das ist aber nicht die Realität. Und das muss auch in der Gesellschaft langsam ankommen.

Ich engagiere mich für eine proaktive Pflege, die ihre Rechte kennt und sich für sich selbst einsetzt. Denn wir können nicht erwarten, dass Andere Angelegenheiten für uns regeln und uns dann aber beschweren, wenns nicht so geworden ist, wie wir es gern gehabt hätten. Wir müssen uns selbst vertreten lernen. 

Und ich wünsche mir sehr, dass die Ausbildung zukünftiger Pflegekräfte wieder verstärkt in den Fokus genommen wird. Laut offiziellen Zahlen beginnen derzeit mehr Menschen die Pflegeausbildung, als in den Jahren zuvor. Was dabei aber nicht beachtet wird ist, wie viele sie wieder abbrechen. Unsere Azubis sind unsere Investition in eine Pflege-Zukunft. Und diese gehört besonders gehegt und gepflegt. 

Du bist Mitglied des DBFK und des Bochumer Bunds. Warum? Was können Gewerkschaften und Verbände deiner Meinung nach erreichen? 

 
Richtig. Ich bin Mitglied in dem größten Berufsverband für Pflegeberufe – dem DbfK. 
Der DbfK ist eine Interessensvertretung für alle Pflegeberufe: Altenpflege, Kinderkrankenpflege und Gesundheits- und Krankenpflege. Hier geht es darum im gemeinsamen Kontext berufsinterne Interessen festzulegen und gemeinsam mit Arbeitgebern über diese Thematiken gebündelt zu sprechen und diese gemeinsam durchzusetzen. Da geht es vor allem um berufliche und berufspolitische Inhalte und um Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. 

Der Bochumer Bund ist die erste und einzige reine Gewerkschaft für die Pflege.
Hier geht es um Gehaltsverhandlungen, Tarifverträge und Arbeitsbedingungen. Dabei kann eine Gewerkschaft massiv unterstützen. Aber eben auch nur, wenn sie mit vielen Mitgliedern auch ein Druckmittel gegenüber dem Arbeitgeber hat. 


Woher nimmst du die Kraft und die Motivation, dich immer wieder für die Pflege stark zu machen? Welche Erfolge konntest du durch deinen Einsatz  bisher verzeichnen?


Meine Motivation nehme ich vor allem aus dem Austausch mit genauso motivierten Kollegen, aus Gesprächen mit Patienten und aus dem intrinsischen Antrieb etwas verbessern zu wollen. 

Große, wesentliche Erfolge habe ich bisher noch keine erzielt. Aber dafür viele kleine. Jeder Mensch, der mir schreibt, dass er durch meine Postings den Mut gefasst hat, in die Ausbildung zu gehen oder in der Pflege zu bleiben, ist für mich ein Erfolg. 

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Wie siehst die Zukunft der Pflege entgegen und wie kann sie deiner Meinung nach zukunftsfähig aufgestellt werden? 


Ich bin eigentlich kein pessimistischer Mensch. Aber ich gebe zu, dass ich mit riesengroßer Sorge auf die Zukunft der Pflege blicke. Frau Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR) schätzt, dass 2030 ungefähr 500000 Pflegekräfte deutschlandweit fehlen werden. 

Diesen Personalmangel KANN dann kein Gesetz der Welt mehr einfach so verändern. Dieser Mangel würde unser gesamtes Gesundheitssystem verändern. Was wir brauchen ist eine Umstrukturierung des Berufs. Er muss zukunftsfähiger und allgemein attraktiver gestaltet werden. Familienfreundliche Arbeitszeiten, eine deutlich höhere, der Verantwortung und auch den Lebensumständen angemessene Bezahlung, eine größere gesellschaftliche Anerkennung. Ein höherer Akademisierungsgrad. Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten. Eine gesicherte Anleitungssituation in der Ausbildung. Das alles sind Themen, die zur Sicherung der Pflege essentiell sind. 

Und wir Pflegenden selbst, wir müssen uns selbst stärken um für unsere Belange einzutreten. Und dafür sind Mitgliedschaften in Berufsverbänden und Gewerkschaften DIE ultimative Lösung. Denn nur gemeinsam können wir genug Druck aufbauen, damit wir politisch gesehen und langfristig spürbar beachtet werden.

Und im Kleinen: Nein sagen lernen. Nicht mehr einspringen. Nicht mehr über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiten. Das eigene Wohl nicht zugunsten Anderer opfern. Denn damit stützen wir ein System, dass nur auf unsere Kosten noch so läuft. 

Die Pflege war ein wunderbarer Beruf. Und wir müssen gemeinsam dafür eintreten, dass er das auch zukünftig wieder sein kann. 

 

Du zeigst viele Punkte auf, in der Pflege angepackt werden müssen, um diese zukunftsfähig zu machen. Das ist gut, denn das macht deutlich, dass es schön Lösungsansätze für bestehende Probleme gibt und keinesfalls unmöglich ist, die Pflege wieder attraktiver zu gestalten – insbesondere wenn sich Pflegende mehr für ihre Interessen stark machen. 


Vielen Dank für deine Zeit und das Interview!