Eine Pflegerin im Dunkeln

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 23.02.2023

True Crime im Krankenhaus: Wenn Pfleger:innen morden

Wie häufig sind Patientenmorde wirklich?

Getötet von einer Person, der man vertraut: etwas Schlimmeres kann man sich kaum vorstellen. Gerade in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen sind Menschenleben oft von der richtigen Behandlung durch Pflegekräfte und Ärzt:innen abhängig. Aber was, wenn diese keine guten Absichten haben? Morde durch medizinisches Fachpersonal sind besonders schwer nachzuweisen, weshalb kaum realistische Aussagen darüber gemacht werden können, wie oft diese tatsächlich vorkommen. Im Folgenden sehen wir uns einen bekannten Fall von Patiententötungen näher an und gehen der Frage nach, wie so etwas überhaupt unbemerkt passieren kann.

Studie: Gibt es mehr Patientenmorde als bisher vermutet?

In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sterben regelmäßig Menschen – der Tod gehört für Pflegekräfte und Ärzt:innen zum Alltag. In seltenen Fällen kann medizinisches Fachpersonal sogar für den Tod von Patient:innen verantwortlich sein: 82 Behandlungsfehler mit Todesfolge sind etwa 2020 festgestellt worden. Solche Vorfälle sind auch für die verantwortlichen Personen eine große Belastung.

Um Behandlungsfehler mit Todesfolge soll es in diesem Artikel jedoch nicht gehen. Stattdessen sehen wir uns eine viel dunklere Seite medizinischer Einrichtungen an: Patientenmorde. Diese geschehen vorsätzlich und nutzen sowohl die Hilflosigkeit der Patient:innen als auch das Umfeld aus, in welchem ein Mord nicht vermutet wird. Untersuchungen gibt es deshalb kaum – wie viele Patientenmorde es tatsächlich gibt, liegt vollkommen im Dunkeln. Ein Grund für den Psychiater Karl H. Beine, dieser Sache einmal nachzugehen: Er stellte 5.000 Ärzt:innen und Pfleger:innen die folgende Frage: „Haben Sie selbst schon einmal aktiv das Leiden eines Patienten beendet?“ Das Ergebnis ist überraschend: Tatsächlich wurde diese Frage mit Ja beantwortet. Und das gar nicht so selten. Hochgerechnet könnte es pro Jahr 14.000 Tötungsdelikte in deutschen Krankenhäusern geben. 

Dass es sich dabei größtenteils um Morde mit „böser“ Absicht handelt, ist allerdings nicht zu vermuten. Stattdessen könnten viele der Befragten diese Frage so interpretiert haben, dass sie für Patient:innen aktive Sterbehilfe geleistet haben – etwa, um sie von starken Schmerzen zu erlösen. Denn auch hier darf man nicht vergessen: Die überwältigende Mehrheit aller Pflegekräfte hat gute Absichten in ihrem Beruf und möchte im Sinne ihrer Patient:innen handeln. 

Der Fall Niels Högel: Die wohl größte Mordserie der deutschen Nachkriegszeit

Wer sich mit dem Thema Patientenmorde beschäftigt, kommt an einer Person nicht vorbei: Niels Högel, von den Medien auch gern als „Todespfleger“ bezeichnet. In 332 Fällen wurden gegen ihn Ermittlungsverfahren wegen Mordes eingeleitet, in mehr als 80 wurde er tatsächlich verurteilt. Sein Vorgehen: Er brachte Patient:innen absichtlich in lebensgefährliche Situationen, zum Beispiel, indem er ihnen Wirkstoffe wie Gilurytmal spritzte, welches in falscher Dosis zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führt. Er selbst trat dann als „Retter“ auf, indem er die Patient:innen (oftmals erfolglos) reanimierte – und daraufhin von seinen Kolleg:innen bewundert wurde. 

Auf die Patient:innen selbst nahm Niels Högel dabei wenig Rücksicht, er interessierte sich nur für deren Krankheitsbild. In vielen Fällen konnte er sich bei der Verhandlung nicht mehr erinnern, ob er die betreffende Person überhaupt getötet hatte. 

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Patientenmörder:innen sind oftmals unauffällig

Die erschreckend hohe Zahl an Patientenmorden durch Högel zeigt bereits, wie schwierig es ist, solchen Täter:innen auf die Spur zu kommen. Gerade wenn diese dort arbeiten, wo ohnehin viele Menschen sterben (wie zum Beispiel in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation), wecken sie kaum Verdacht. Dennoch kommen Fälle ans Licht. Genug, dass es sogar ein Buch darüber gibt: „Patiententötungen. Dem Sterben nachgeholfen“ wurde 1997 von dem Psychologen und Gerichtsgutachter Herbert Maisch verfasst und beschäftigt sich mit genau solchen Vorfällen. 

Wer denkt, dass Mörder:innen im Krankenhaus schnell entdeckt werden müssten, kann sich durchaus irren. Laut Maisch sind die typischen Täter:innen kompetent, unauffällig oder gar vorbildlich. Ihre Opfer meist schwerkranke und alte Menschen. Und ihre Tötungsdelikte aufgrund fehlender äußerer Spuren ohne Untersuchung kaum feststellbar. All das führt dazu, dass die Morde oft lange Zeit unbemerkt bleiben können. Ein Beispiel dafür: Die Pflegerin Irene Becker, die an der Berliner Charité mindestens fünf Patient:innen tötete. Sie galt als erfahren und pflichtbewusst und tötete schwerkranke Menschen etwa mit dem stark blutdrucksenkenden Mittel Nitroprussid-Natrium. 

Karl H. Beine geht davon aus, dass die Täter:innen meist wenig Selbstbewusstsein haben, sich nach Anerkennung sehnen – wie es etwa auch bei Högel der Fall war. „Die Täter sind überdurchschnittlich unsicher. Sie reagieren besonders sensibel darauf, wenn Lob ausbleibt, oder wenn sie Kritik einstecken müssen. Vermutlich haben sie den Helferberuf auch deshalb ergriffen, um sich im Glanz seines Sozialprestiges zu sonnen“, sagt er.

Trotz Auffälligkeiten erhielt Högel ein gutes Arbeitszeugnis

Im Fall Högel dauerte es mehrere Jahre, bis die Morde aufflogen. Bereits bei seinem ersten Arbeitgeber im Klinikum Oldenburg gab es Auffälligkeiten. Die Intensivstation, in der er damals arbeitete, hatte eine höhere Sterberate als zuvor, die Toten wiesen hohe Kaliumwerte auf. Bei der Dienstbesprechung, in welcher diese Unregelmäßigkeiten besprochen wurden, war Högel wohl ebenfalls anwesend, er meldete sich anschließend erst einmal krank. Er hatte nach eigener Aussage Angst, dass man ihm auf die Schliche gekommen war. 

Nach seiner Rückkehr setzt er seine Mordserie jedoch unbeirrt fort. Er wird von der herzchirurgischen Intensivstation in die Anästhesie verlegt, nach einem Jahr wird ihm der Patientenkontakt untersagt. Anschließend wird er vom Dienst freigestellt – in der Tasche ein gutes Arbeitszeugnis, mit welchem er in den Städtischen Kliniken Delmenhorst seinen nächsten Job findet. Dort geht es wie gewohnt weiter. Nach mehr als zwei Jahren werden leere Gilurytmal-Ampullen im Mülleimer gefunden, die Kollegen melden dies an den Stationsleiter. Fast zwei Monate später wird Högel dann auf frischer Tat ertappt: Nachdem das Gilurytmal bei einem Patienten keine Wirkung gezeigt hatte, stellte er den Perfusor aus, damit kein Arterenol mehr verabreicht wird. Eine Kollegin erwischte ihn dabei. 
 

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Er gibt Hinweise auf Patientenmorde – doch sie werden oft nicht ernst genommen 

Als er schließlich aufflog, hatte Högel bereits zahlreiche Menschenleben auf dem Gewissen. Er wurde zum Schluss hin immer unvorsichtiger, hatte in jedem zweiten oder dritten Dienst ein neues Opfer. Kaum vorstellbar, dass dies erst so spät aufgefallen sein soll. Sogar er selbst hoffte zu diesem Zeitpunkt, dass man ihn bald überführen würde, „damit es endlich vorbei ist.“   

Laut Maisch ist dies nicht ungewöhnlich. Kolleg:innen von Patientenmörder:innen hätten oftmals einen Verdacht, ein ungutes Gefühl. Vermehrte Todesfälle in den Schichten der Täter:innen würden durchaus auffallen, aber oft nicht ernst genommen. Es sei zu ungeheuerlich und absurd, als dass dahinter wirklich eine böse Absicht stecken könnte. Zudem käme es gar nicht so selten vor, dass Kolleg:innen seltsame Vorfälle beobachten, diesen aber nicht genug Aufmerksamkeit schenken.  Anstatt Zahlen zu prüfen, hätten die Kolleg:innen dann eher Mitleid mit den Täter:innen, würden ihnen Spitznamen wie „Pechvogel“ geben. Das ist natürlich gut nachzuvollziehen. Patientenmorde sind schließlich äußerst selten und allein schon der Gedanke, dass diese geschehen könnten, ist für viele Pflegekräfte kaum vorstellbar. Schließlich haben sie ihren Beruf ergriffen, um den Tod von Menschen zu verhindern.

Ärzt:innen hingegen würden Hinweise aus unterschiedlichen Gründen oft nicht ernst nehmen. Die beschuldigten Pfleger:innen oder Ärzt:innen sind schließlich oft vorbildlich und fleißig, entsprechen nicht dem Klischee eines „Killers“. Es sei für viele Ärzt:innen oder Pflegeleitungen unvorstellbar, dass solche Taten überhaupt passieren könnten. Auch die Angst vor dem eigenen Karriereende spiele eine Rolle. Schließlich sind die Todesfälle vielleicht sogar unter der eigenen Aufsicht passiert.

Wie kann man Morde im Krankenhaus erkennen?

Zunächst einmal ist es wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Patientenmorde sehr selten sind. Die Pflege ist ein Beruf, in welchem Vertrauen eine große Rolle spielt, und in dem Misstrauen zwischen Kolleg:innen prinzipiell keinen Platz hat. Nur weil die Kollegin sich einmal frustriert über einen Patienten auslässt oder der Kollege in einem Patientenzimmer war, das eigentlich gar nicht auf seinem Dienstplan stand, muss nicht gleich etwas dahinterstecken. In den allermeisten Fällen passieren solche Dinge, weil Pflegekräfte eben auch nur eines sind: menschlich!

Dennoch: Wenn du ein schlechtes Gefühl hast oder dir bei Kolleg:innen ein untypisches Verhalten auffällt, dann solltest du nicht wegschauen. Oftmals gibt es Hinweise darauf, dass es bei Todesfällen nicht mit rechten Dingen zugeht – vor allem bei Wiederholungstätern. Eine auffallend hohe Sterberate während der Schichten einer bestimmten Person, ein Anstieg in der Bestellung bestimmter Medikamente (bei Högel war beispielsweise der Verbrauch von Gilurytmal von rund 60 Ampullen pro Jahr auf 380 gestiegen) oder ein roher Umgangston mit Patient:innen können Hinweise darauf sein, dass etwas nicht stimmt. Maisch stellte in seiner Untersuchung fest, dass auf betreffenden Stationen oft eine raue Sprache herrschte und es eine mangelhafte Kontrolle gebe. Auch bei Högels Einrichtung in Delmenhorst wurden die Bestellungen der Pfleger:innen nicht kontrolliert.

Wie viel man Vorgesetzten oder Kolleg:innen vorwerfen kann, ist fraglich. Im Fall Högel wurden angeklagte Mitarbeiter:innen der beiden Kliniken, in welchen er mordete, freigesprochen. Sie standen unter anderem wegen Totschlags und Beihilfe zur Tötung durch Unterlassung vor Gericht. Der vorsitzende Richter sah in diesem Fall kein vorsätzliches Fehlverhalten und das Gericht konnte nicht feststellen, dass die Beteiligten von den Taten von Högel wussten. 

 


True Crime in der Pflege ist besonders schockierend. Die Opfer sind oftmals komplett hilflos und ahnungslos, den Täter:innen auf die Spur zu kommen sehr schwierig. Dazu kommt, dass solche Einzelfälle ein schlechtes Licht auf die große Mehrheit der Pfleger:innen und Ärzt:innen werfen, die diesen Beruf ergreifen, um Menschenleben zu retten oder zu verbessern. Die Täter:innen schaden also nicht nur ihren Opfern und deren Angehörigen, sondern auch dem ganzen Berufsstand, der sich dem Ziel widmet, Menschenleben zu retten. Umso wichtiger ist es, dass es in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ausreichend Kontrollen gibt – und dass Verdachtsfälle ernst genommen werden.
 

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.