Eine alte Frau liest ein Buch, dahinter spielen Männer Schach

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 08.12.2022

Milieutherapie: Therapieren durch die Umgebung

Definition, Anwendungsgebiete & Ziele der Milieugestaltung

Wenn von psychologischer Behandlung die Rede ist, denken viele sofort an Sitzungen mit Therapeut:innen und tiefgehenden Gesprächen – am besten auf der klassischen Couch. Dabei gibt es neben der bekannten Psychoanalyse noch viele weitere Therapieansätze. Einer davon ist die Milieutherapie oder die Milieugestaltung. Wo sie zum Einsatz kommt, welche Ziele sie hat und wie die Milieugestaltung in der Pflege von alten Menschen zur Anwendung kommt, erfährst du hier. 

Milieutherapie Definition: Das Milieutherapie-Konzept erklärt

Eine Psychotherapie erfolgt oftmals in einem neutralen Raum wie einer Praxis. Das kann Vorteile haben, in manchen Fällen ist jedoch ein anderer Ansatz nötig, um psychisch erkrankte oder beeinträchtigte Menschen erfolgreich zu therapieren. Hier kommt die Milieugestaltung ins Spiel: Darunter wird eine ganzheitliche, psychosoziale Herangehensweise verstanden, welche rund um die Uhr Einfluss auf die Patient:innen nimmt. 
Konkret sieht das in den meisten Fällen so aus: Bei der Milieutherapie leben Patient:innen in einer zeitlich begrenzten Gemeinschaft. Diese wird von einem Team betreut, das aus Pflegekräften, Ärzt:innen, Psycholog:innen und unterstützendem Personal besteht. Bei Senior:innen, die ohnehin in einer Einrichtung leben, ist die Milieutherapie zeitlich nicht begrenzt, sondern gliedert sich in den Alltag ein. 

Die Idee der Sozio-Milieutherapie ist es, dass die Patient:innen Einfluss auf die Gestaltung ihres physischen Umfeldes, den Tagesablauf, gemeinsame Aktivitäten und andere wichtige Faktoren in der Milieugestaltung haben. Alles soll sich an ihren Bedürfnissen ausrichten – nicht andersherum. 

Wo findet Milieutherapie Anwendung?

Ihren Ursprung hat die Milieugestaltung in der Psychiatrie. Heute unterstützt sie Patient:innen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Besonders eignet sie sich für folgenden Gruppen:

  • Psychisch kranke Menschen
  • Menschen mit geistiger Behinderung
  • Sozial auffällige Kinder oder Jugendliche
  • Menschen mit Suchterkrankung
  • Alte Menschen / Demenzkranke

Milieutherapie: Ziele des psychosozialen Ansatzes

Das (soziale) Umfeld beeinflusst Menschen besonders stark. Um also bei psychischen Erkrankungen oder anderen Auffälligkeiten Fortschritte zu erzielen, kann es hilfreich sein, eben dieses Umfeld neu zu gestalten und an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Patient:innen auszurichten. Auf diese hat das zum Beispiel folgende positive Auswirkungen:

  • Sie bekommen ein Gefühl der Orientierung und der Zugehörigkeit
  • Sie fühlen sich sicher und können wieder selbständig Kontrolle übernehmen
  • Negative Empfindungen wie Angst oder Unruhe werden gemildert
  • Der Alltag kann besser bewältigt werden
  • Die Kooperationsfähigkeit verbessert sich
  • Es kann besser Vertrauen aufgebaut werden
  • Das Selbstwertgefühl wird gesteigert
  • Schlechte äußere Einflüsse werden minimiert 

Je nach Patient:innen unterscheiden sich die Ziele der Milieutherapie natürlich maßgeblich. 

Beispiele für Milieugestaltung: Maßnahmen im Seniorenheim

Die Milieutherapie hat zahlreiche Einsatzbereiche, besonders relevant ist sie heutzutage unter anderem in der Arbeit mit Senior:innen und Demenzkranken. Die Milieugestaltung im Seniorenheim erstreckt sich auf viele Bereiche und kann auf die unterschiedlichsten Arten umgesetzt werden. 

Milieugestaltung bei Demenz: das Umfeld anpassen

Das Ziel der Milieugestaltung bei Demenz ist es unter anderem, dass sich die Bewohner:innen im Heim wie zuhause fühlen. Deshalb ist es ratsam, die Wohnbereiche so zu gestalten, wie sie es aus ihrem früheren Leben kennen. Das gelingt mit den passenden Möbeln und Einrichtungsgegenständen, die gemütlich und wohnlich sein sollten, aber eben auch optisch dem ähneln, was die Bewohner:innen aus der eigenen Wohnung gewohnt sind. Im besten Fall können sie Teile ihrer eigenen Einrichtung mitbringen.  

Zu der Milieugestaltung in der Altenpflege gehört aber noch viel mehr. Zum Beispiel: 

  • Übersichtliche Räumlichkeiten und eine Architektur, in der sich auch Demenzkranke gut zurechtfinden können – unter anderem durch eine klare und leicht verständliche Ausschilderung
  • Viele Sitzgelegenheiten in ansprechender Umgebung
  • Einladende Gemeinschaftsräume
  • Eine Möglichkeit, sich in sicherer Umgebung draußen aufzuhalten
  • Viel Licht und Sonne sowie angenehme Temperaturen im Sommer und Winter
  • Angenehme, nicht zu aufdringliche Farben 
  • Unangenehme Geräusche vermeiden (zum Beispiel ständig laufender Radio oder Fernseher oder laute Wasserrohre)
     

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Bei der Milieugestaltung im Altenheim für Sicherheit sorgen

Die Atmosphäre ist nur eine der wichtigen Maßnahmen der Milieutherapie. Daneben spielt die Sicherheit der Bewohner:innen eine große Rolle. Schließlich sollen sie in der Lage sein, trotz körperlicher oder mentaler Einschränkungen möglichst selbstbestimmt zu leben. Entsprechende Maßnahmen in der Milieugestaltung sind zum Beispiel:

  • Alle Möbel und Einrichtungsgegenstände sollten gesichert sein und kein Risiko darstellen
  • In der Küche sollte es keinen Zugang zu scharfen Messern oder anderen gefährlichen Gegenständen geben
  • Außenbereiche sollten ausreichend gesichert und für Pflegekräfte vollständig einsehbar sein. Es sollten dort keine giftigen Pflanzen wachsen und die Wege sollten eben sein.

Milieugestaltung Demenz: Beispiele für das Zusammenleben

Der soziale Aspekt darf bei der Milieugestaltung im Pflegeheim auf keinen Fall zu kurz kommen. Folgendes sind wichtige Maßnahmen, um ein ansprechendes soziales Umfeld zu gestalten: 

  • Die Bewohner:innen sollten immer einen Rückzugsort haben und ihr eigenes Zimmer aufsuchen können, wann sie möchten
  • Es sollte übersichtliche, feste Wohngruppen geben
  • Es sollte für einen festen Tagesablauf gesorgt sein, der individuell auf die Interessen und das Aktivitätslevel der Bewohner:innen zugeschnitten ist und von diesen mitgestaltet werden kann. Schläft zum Beispiel eine Person gerne lang oder geht früh ins Bett, muss das berücksichtigt werden
  • Die Bezugspersonen (wie Pflegekräfte oder Ärzt:innen) sollten möglichst dieselben bleiben
  • Gemeinsame Aktivitäten sollten immer freiwillig sein und mitgestaltet werden können
  • Haustiere sollten wenn möglich ins Heim mitgenommen werden können oder zu Besuch kommen
     

Sozio- und Milieutherapie: Unterschiedliche Ansätze

In der Geschichte der Milieutherapie gibt es einige wichtige Persönlichkeiten, die den psychosozialen Ansatz geprägt haben. Drei davon möchten wir dir hier vorstellen:

Milieugestaltung nach Bruno Bettelheim

Bruno Bettelheim gründete 1944 eine Einrichtung für emotional gestörte Kinder und Jugendliche, in welcher er ein damals neues Therapiekonzept anwandte. Er entwickelte die Milieutherapie und kombinierte in dem Heim sozusagen Psychotherapie und Sozialtherapie, indem die Kinder vollstationär aufgenommen und die ganze Zeit über betreut wurden. Die Betreuer:innen hielten sich dabei zunächst im Hintergrund und ließen die Kinder sich selbst integrieren. 
Die Anpassung des Tagesablaufs an die Bedürfnisse der Kinder, psychiatrische Einzelsitzungen in Form von Spielstunden sowie ein stark individualisiertes Lernangebot sind in der Milieugestaltung nach Bruno Bettelheim zentrale Punkte. 

Milieugestaltung nach Böhm

Im Gegensatz zu Bettelheim hat sich Prof. Erwin Böhm auf ältere Menschen fokussiert und ein auf deren Biografie aufbauendes Pflegemodell entwickelt. Der Gedanke dahinter ist, dass Pflegekräfte die Patient:innen individuell kennenlernen sollen und sie so besser behandeln können. Das psychobiografische Modell geht davon aus, dass die ersten 25 Lebensjahre die prägendsten sind, weshalb sich die Biografiearbeit darauf fokussiert. 

Milieutherapie nach Edgar Heim

Die Milieutherapie nach Heim folgt vier Prinzipien: Partizipation, offene Kommunikation, soziales Lernen und Leben in der Gemeinschaft. Sein Konzept hat er in der Krankenhausumgebung entwickelt mit dem Ziel, möglichst „normale Lebensbedingungen“ für Patient:innen zu schaffen. Diese sollten selbst an allen Entscheidungen beteiligt sein und eine realistische Vorstellung ihrer Krankheit entwickeln. Angestrebt wird ebenfalls, dass die Patient:innen eigenes und fremdes Handeln kritisch hinterfragen und reflektieren sowie Gruppendynamiken erleben und ihre eigene Rolle in Gruppen verstehen. 

 

Wenn sie richtig angewandt wird, kann die Milieutherapie Pflege nachhaltig verbessern. Hier stehen einzig und allein die Patient:innen im Mittelpunkt – sowohl die Umgebung und der Tagesablauf als auch das Verhalten der Pflegekräfte wird individuell an ihnen ausgerichtet. Diese Herangehensweise hat viele positive Effekte: Die Patient:innen fühlen sich sicherer, selbstbewusster und glücklicher. Möchtest du die Milieutherapie in das Konzept deiner Einrichtung integrieren, dann lasse dich nicht von den zahlreichen Maßnahmen zur Milieugestaltung abschrecken: Dabei handelt es sich um eine idealisierte Form und natürlich kann in der Praxis nicht alles perfekt umgesetzt werden. 

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.